#notheidisgirl: Interview mit der Gruppe Vulvarines

Wer sind die Vulvarines? Könntet ihr euch und eure Gruppe einmal kurz vorstellen?

In erster Linie sind wir Frauen mit ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten. Wir sind Studentinnen, Angestellte, Mütter, Aktivistinnen. Letztendlich Freundinnen, die es satt sind, tagtäglich gesellschaftlich aufgezwungene Standards wiederzukäuen. Wir wehren uns gegen die Zwänge eines patriarchalen, kapitalistischen Ausbeutungssystems.
Ihr habt mit #notheidisgirl ja ganz schön für Furore gesorgt. Wie kam denn die Idee zu dieser Aktion zustande? Warum habt ihr euch gerade für diese Form des Protests entschieden?
Die Idee zu der Kampagne entstand bei unserer dritten Sitzung im August. (Ja, wir sind noch Frischlinge). Denn in einem Punkt waren wir uns alle von Anfang an einig: das bestehende gesellschaftlich konstruierte Schönheitsideal, was keinen Raum für Vielfalt lässt, ist etwas, das wir satt haben einfach so hinzunehmen.
Uns geht es vor allem darum, dass die Marke Heidi Klum und das Format GNTM nur ein Symptom einer sexistischen und patriarchalen Gesellschaft ist. Vielfalt – in diesem Fall körperliche Vielfalt – wird immer noch als Bedrohung angesehen, statt als Normalität. Wir verstehen unsere Kampagne als Medium, durch das sichtbar wird was Realität ist.

Die Aktion wurde ja mitunter so aufgefasst, als würde sie sich vor allem gegen Heidi Klum als Person oder schlicht gegen ihre Sendung richten. Was ist aber eure eigentliche Kritik an der Sendung und an den Vorstellungen, die von ihr transportiert werden?

Unsere Kritik richtet sich eindeutig nicht gegen Heidi Klum als Person. Und auch nicht gegen die Teilnehmerinnen von GNTM. Dieses Format stellt für uns lediglich ein Symptom dar, welches sich in die Verwertungsmaschinerie von Mode- und Werbeindustrie einreiht und somit ein Bild von Schönheit reproduziert, das keinen Spielraum für Vielfalt lässt. Wir positionieren uns gegen eine Industrie, die von Objektivierung und Konkurrenz junger Menschen lebt.

Tatsächlich haben mittlerweile ja viele große Medien über euch und die Aktion berichtet. Es gab Berichte in der BILD, der taz, VICE, auf netzpolitik.org und Interviews im Radio. Wie habt ihr das Echo der Medien und der Öffentlichkeit auf #notheidisgirl bisher erfahren? Seid ihr selbst überrascht davon, wieviel Aufmerksamkeit die Aktion erreicht hat?

Tatsächlich stehen unsere Laptops und Handys seit Tagen nicht mehr still. Keine von uns hätte mit so einem Echo gerechnet, doch wir versuchen allen Anfragen gerecht zu werden und die sichtbar zu machen, die sichtbar sein wollen. Wir sind unglaublich überwältigt und gerührt, wie viele Menschen wir mit unserer Kampagne erreichen. Uns erreichen unzählige Nachrichten von Menschen, die sich mit uns verbunden fühlen. Das gibt uns und den Menschen, denen unsere Kampagne eine Stimme verleiht, Kraft. Die große Resonanz und insbesondere jene Nachrichten, in denen Menschen uns von teils sehr privaten Schicksalen und Biographien berichten, zeigen, dass das was wir angestoßen haben, lange überfällig war. Wir beobachten außerdem, dass vielen Hasskommentaren im Netz von immer mehr Supporter*innen umgehend etwas entgegengesetzt wird. Das zeigt wie tragfähig die Kampagne schon jetzt ist.

In verschiedenen Berichten werdet ihr häufiger mal als „Netzfeministinnen“ oder „Online-Aktivistinnen“ bezeichnet. Würdet ihr euch selbst auch so sehen? Wie schätzt ihr das Verhältnis von feministischem Engagement im Netz und im analogen Alltag ein?

Wenn wir unter dem Begriff des Feminismus verstehen, sich für eine gleichberechtigte, vielfältige Welt einzusetzen, dann ist das was wir hier tun ganz sicher ein feministischer Akt. Das Netz bietet, insbesondere für eine Kampagne wie die unsere, eine verhältnismäßig barrierefreie Plattform. Wir bieten vielen Menschen die Chance zu partizipieren und in den Austausch zu kommen. Unser analoger Alltag ist natürlich getragen von den Werten, die auch durch unsere Kampagne abgebildet werden. Unser Feminismus endet nicht, sobald der Laptop zugeklappt und die Anonymität des Internets abgelegt wird.

Wird man in Zukunft noch mehr von euch hören?
Smashing the patriarchy is our cardio.

Berlin Rebel High School

Eine andere Schule. Das ist der Wunsch vieler Pädagog*innen und Persönlichkeiten, auch im Schuldienst. Von vielen wird eingestanden, dass unser Schulsystem, welches noch größtenteils aus dem Kaiserreich hervorgeht, nicht mehr zeitgemäß und dem sozialen Fortschritt gegenüber nicht mehr angemessen ist.

Der Film „Berlin Rebel High School“ greift diese Thematik auf. Genauer gesagt handelt es sich um eine Dokumentation, die eine selbstverwaltete Schule in Westberlin zeigt, die 1973 als gemeinnütziger Verein gegründet wurde. Heute hat sie 200 Schüler*innen die basisdemokratisch alle Entscheidungen im Kollektiv mit den Lehrer*innen und weiteren Mitarbeiter*innen treffen. Auch werden die Lehrer*innen durch die Schüler*innen angestellt und generell herrscht ein Klima, welches das Lernen angenehmer macht. Das Ziel ist am Ende das Abitur nachzuholen. Die Schule möchte tatsächlich eines sein: radikal-anders und freiheitlich. Der Gründung geht ein Schulstreik an der privaten Gabbe-Lehranstalt voraus, der sich gegen Autoritarismus, politisch bedingter Kündigungen, Leistungsdruck und überfüllte Klassen richtete.
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KAFVKA – Fick dein Volk

Pöbeln gegen Pegida, AfD und den ganzen Rest

KAFVKA aus Berlin verstehen sich explizit als politische Band und so haben sie im September einen Song veröffentlicht, der sich an Pegida, AfD und all die “besorgten Bürger*innen” richtet – mit anderen Worten also all jene, die sich dafür stark machen, endlich wieder hemmungslos rassistisch, antisemitisch, homophob und sexistisch sein zu dürfen. Unter dem Motto “Fick dein ‘Wir sind das Volk’-Geschrei” nutzt die Band etwas mehr als zwei Minuten, um der Neuen Rechten und alles was da dran hängt mal die Meinung zu geigen. Musikalisch orientiert man sich bei Limp Bizkit und Rage Against The Machine (die Älteren unter euch mögen sich daran erinnern), ohne dabei allerdings das gleiche Niveau zu erreichen, insbesondere der Gesang / Rap hat noch etwas Luft nach oben. Doch der Wille zählt, da sehe ich persönlich etwas von den musikalischen Schwächen ab.
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Behinderung vom Staat in Deutschland

Die Notwendigkeit sich den Scheiß bewusst zu machen und radikal drüber zu labern

Im letzten Dezember sagte eine SPD-Abgeordnete im Bundestag vor der Abstimmung des Bundesteilhabegesetzes, die Sorgen behinderter Menschen seien nun „gehört“ worden – darauf, „erhört“ zu werden, gebe es kein Recht. Sie tat das vor einem Parlament, welches 80 000 behinderte deutsche Staatsbürger*innen gar nicht wählen dürfen.

Im Vorfeld war viel passiert. Abseits vom linken Mainstream hatte eine relativ kleine Gruppe engagierter behinderter Aktivist*innen der Behindertenbewegung mehrere Jahre lang für ein Gesetz gekämpft, das vieles einfacher machen sollte. Vor allem die persönliche Assistenz 1 im Alltag sollte endlich eine richtige Perspektive geboten bekommen, um dort die durchgehende Selbstbestimmung in greifbare Nähe zu rücken. Umso größer ist die Ernüchterung nach dem Gehörtwerden. Der faktische Zwang, in einem Heim zu wohnen, ist für viele Menschen noch da, genauso wie das zwangsweise Zusammenlegen von Freizeitaktivitäten und die Unterhaltspflicht für Eltern von erwachsenen Menschen, die Eingliederungshilfe [Eine Hilfe, die es Menschen erlaubt ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben zu führen. Steht in Abgrenzung zur fremdbestimmten Versorgung durch Institutionen oder Angehörige.]beziehen. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit es dem Staat gelingt, behinderten Menschen bei dem fast schon unterwürfigen Bitten, ihnen doch endlich zumindest die gleichen erbärmlichen Rechte einzuräumen wie allen anderen auch, immer noch in die Beine und Speichen zu treten.
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  1. Eine Hilfe, die es Menschen erlaubt ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben zu führen. Steht in Abgrenzung zur fremdbestimmten Versorgung durch Institutionen oder Angehörige.

Mit der Schule stimmt was nicht!

Die Umsetzung der Inklusion: Ein subjektiver Praxisbericht aus NRW und lauter Fragen

Als Sonderpädagogin trifft mich die Umsetzung der schulischen Inklusion direkt. Ausgebildet wurde ich in der Förderschule und in einer Regelgrundschule während des Referendariats. Dort zeigte sich schon, dass es in allen Ecken und an allen Enden hapert.

Während meiner Zeit im Bundesvorstand habe ich die AG Bildung, die sich mit der schulischen Bildung in Deutschland auseinandergesetzt hat, begleitet und mit an der Broschüre „Mit der Schule stimmt was nicht“ gearbeitet. Wir als Falken haben uns dafür ausgesprochen, dass alle gemeinsam lernen können, selbstbestimmt lernen und Noten unerwünscht sind. Jede*r sollte seine Bildung über Herz, Kopf und Hand ermöglicht bekommen.
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Vom Hexenhammer angeklagt

Die Vernichtung des Weiblichen in den Feuern der Scheiterhaufen

Die Hexenverfolgung war, entgegen dem geläufigen Bild, kein Phänomen des „dunklen“ Mittelalters, sondern der sogenannten Frühen Neuzeit (etwa 1450 bis 1600). Diese Zeit war geprägt von den neu entstehenden Naturwissenschaften, dem Machtverlust der Kirche, einer zunehmenden Geldwirtschaft, sowie der Umwandlung leibeigener Bäuerinnen und Bauern in „freie“ Lohnarbeiter*innen.
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Nichts über uns, ohne uns!


Als Falken kämpfen wir für eine Gesellschaft, in der: „[…] kein Mensch aufgrund sozialer Klasse, Geschlecht, Herkunft, Behinderung oder sexueller Orientierung benachteiligt wird.“ So zumindest die Formulierung, die die Bundesfrauenkonferenz in ihren Anträgen regelmäßig mit einbringt. Ansonsten findet sich auf Falkenseiten im Internet recht wenig zu behindertenpolitischen Schlagwörtern wie Teilhabe, Inklusion, Barrierefreiheit, Behinderung oder sonstigen „Krüppelthemen“. In einer Handvoll Anträge aus dem Juni 2011 taucht Behinderung zumindest als kurzer, eigener Abschnitt auf. Das soll nicht heißen, dass Falken behindertenfeindlich sind. Als Mensch mit Behinderung habe ich mich in meinem Verband immer gut aufgehoben gefühlt.

Trotzdem: Es lässt sich noch einiges verbessern, denn Ausgrenzung findet auch ohne bewusste Feindlichkeit statt. Ableismus (vom englischen ‚ability‘ = Fähigkeit/Können), also die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung wird generell – auch in linken Kreisen – gerne stiefmütterlich behandelt. Die Falken sind da keine Ausnahme: Oder kennt Ihr viele Genoss*innen mit Behinderungen oder habt das Thema jüngst aktiv diskutiert? Zugegeben, die Frage ist nicht ganz fair, da sich nicht jede Behinderung an der Nasenspitze ablesen lässt und mit Rollstuhl, Krücken oder Blindenstock daherkommt. Nimmt man auch chronische und psychische Erkrankungen hinzu, kämen wir wohl auf einen bedeutenden Teil Betroffener.
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Vielfalt und Teilhabe

Qualitätsprozess Inklusion in der
Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein

Hat eine Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (2006) eine praktische Auswirkung für die Kinder- und Jugendarbeit? Diese Frage stellten wir uns als Einrichtung der außerschulischen Bildung und setzten uns mit der Bedeutung der Konvention für die Praxis auseinander. Der Begriff Inklusion betont in dieser Konvention die Gleichwertigkeit und Würde jedes Individuums, ohne dass dabei Normalität vorausgesetzt wird. Die Vielfalt selbst ist Norm. Gesellschaftliche Strukturen und Systeme müssen so verändert werden, dass sich alle auf eigene Art einbringen können und die volle gleichberechtigte und wirksame Teilhabe und Teilgabe aller garantiert ist.

Teilhabe zu fordern heißt, Strukturen und Haltungen in Frage zu stellen und muss in der Konsequenz bedeuten, auch “Teilgabe” zu fordern, um Veränderungen zu zulassen.
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Inklusion im Zeltlager. Geht das?

Der Verband steht vor der großen Aufgabe bei der Aufforderung zur Umsetzung der Inklusion selbst mitzuhalten. Der Unterbezirk Recklinghausen hat sich im Jahr 2008 intensiv Gedanken gemacht: Wie exklusiv sind wir? Was können wir in Richtung Inklusion tun und verwirklichen?

Seit 2004 fährt ein Junge mit Down Syndrom 1 mit ins Zeltlager. Es ist ein Helferinnenkind und er war ganz selbstverständlich mit dabei. Der Junge wurde immer älter und wurde zum F-Kind. Für das Zeltlager 2009 haben wir uns das Ziel gesetzt, dass er nicht mehr allein bleibt: Wir wollten weitere Kinder mit Behinderung mitnehmen! Doch wie geht das? Wie werden diese Kinder betreut? Welche Hilfen brauchen sie? Wie finanzieren wir das alles?
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  1. Beim Down-Syndrom handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine unveränderbare genetische Besonderheit. Anstatt der üblichen 23 Chromosomenpaare in allen menschlichen Zellen weisen die Zellen der Menschen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom auf. Das Chromosom 21 ist bei ihnen dreifach vorhanden, deswegen spricht man auch von einer „Trisomie 21“.

Ausgabe 03/2017: Schwerpunkt Inklusion

Liebe Leser*innen,

Inklusion ist der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe der aj. Wir sind der Frage nachgegangen, was Inklusion eigentlich meint und warum wir, als sozialistischer Kinder- und Jugendverband uns ganz dringend damit auseinandersetzen müssen. Und zwar nicht nur, weil es die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, sondern weil eine inklusive Gesellschaft allen Menschen mit ihren kleinen oder aber auch großen Unterschieden eine Teilhabe ermöglicht. In einer inklusiven Gesellschaft ist Vielfalt selbst die Norm, wie die Genoss*innen aus dem Kurt Löwenstein Haus es so schön auf den Punkt gebracht haben. Doch noch sind wir von einer inklusiven Gesellschaft weit entfernt. Welche Hürden und Stolperfallen es auf dem Weg dahin gibt und wie sie gemeistert werden können, erfahrt ihr in dieser Ausgabe. So z. B. wie der UB Recklinghausen sich auf den Weg gemacht hat, seine Zeltlager inklusiv zu gestalten, wer oder was eigentlich die Krüppelbewegung ist und für welche Forderungen sie steht. Und noch vieles, vieles mehr.

Wir wünschen Euch viel Spaß bei der Lektüre!

Freundschaft!
Eure Redaktion
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