Inklusion im Zeltlager. Geht das?

Der Verband steht vor der großen Aufgabe bei der Aufforderung zur Umsetzung der Inklusion selbst mitzuhalten. Der Unterbezirk Recklinghausen hat sich im Jahr 2008 intensiv Gedanken gemacht: Wie exklusiv sind wir? Was können wir in Richtung Inklusion tun und verwirklichen?

Seit 2004 fährt ein Junge mit Down Syndrom 1 mit ins Zeltlager. Es ist ein Helferinnenkind und er war ganz selbstverständlich mit dabei. Der Junge wurde immer älter und wurde zum F-Kind. Für das Zeltlager 2009 haben wir uns das Ziel gesetzt, dass er nicht mehr allein bleibt: Wir wollten weitere Kinder mit Behinderung mitnehmen! Doch wie geht das? Wie werden diese Kinder betreut? Welche Hilfen brauchen sie? Wie finanzieren wir das alles?

Bereits im Jahr 2008 haben zwei Genoss*innen am Seminar der IFM „All Inclusive“ teilgenommen. Dort wurde die eigene Arbeit vor Ort in der Gliederung in Bezug auf den Stand der Inklusion untersucht. Das Ergebnis: Der Unterbezirk Recklinghausen schafft es nicht, Migrant*innen und Menschen mit Behinderungen in der Falkenarbeit mitzunehmen.

Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben je nach Art der Beeinträchtigung einen erhöhten Betreuungsbedarf. Sie müssen enger begleitet werden, als es unser übliches Helfer*innenverständnis vorsieht. Einige Kinder und Jugendliche müssen tatsächlich 24h begleitet werden, da sie sich nicht so gut orientieren können, Unterstützung bei Angeboten benötigen und an den Toilettengang erinnert werden müssen. Bevor wir ein Kind oder Jugendlichen mit Behinderung mitnehmen, findet ein Kennenlerngespräch statt, bei dem ein Fragebogen ausgefüllt wird. Daraufhin wird geklärt wie hoch der zusätzliche Betreuungs- oder Unterstützungsbedarf ist (1:1, 1:2, 1:4). Je nach Bedarf müssen mehr Helfer*innen mitgenommen werden, um diese zusätzliche Unterstützung zu gewährleisten. Hier stellt sich die Frage, welche Helfer*innen sich für diese Herausforderung eignen und welche sie sich selbst zutrauen. Viele haben Hemmschwellen, da sie Angst haben etwas falsch zu machen. Daher suchen wir immer wieder Helfer*innen, die Heilpädagogik studieren oder schon ausgebildete Heilerziehungspfleger*innen sind. Um diese Helfer*innen zu finanzieren, haben wir uns informiert, welche Möglichkeiten es für die Eltern und Erziehungsberechtigten gibt. Wir haben uns nach §45 SGB XII (Gesellschaftliche Beteiligung) anerkennen lassen und können so die zusätzlichen Kräfte über die Verhinderungspflege 2 abrechnen. Dadurch werden die zusätzlichen Helfer*innen finanziert und es entstehen keine zusätzlichen Kosten. Um geeignete Helfer*innen zur Begleitung der Teilnehmenden mit Beeinträchtigung zu finden, haben wir gemeinsam im Zeltlagerteam eine Stellenbeschreibung entwickelt.

Ein inklusiver Zeltlageralltag

Praktisch sieht das Ganze dann wie folgt aus: Die Kinder und Jugendlichen werden gemischt in die Zeltlagergruppen aufgenommen und sind selbstverständlicher Teil dieser. Sie leben gemeinsam und gestalten zusammen den Tag. Das heißt gemeinsam spülen, spielen, Anträge stellen und abstimmen. Unser Zeltlageralltag wurde durch Piktogramme (BILD VORHANDEN) gestaltet, da nicht alle Kinder lesen können, dies ist etwas, das auch anderen Kindern zu Gute kommt. Wir erleben es als eine unglaubliche Bereicherung für alle, dass diese Kinder und Jugendlichen bei uns im Zeltlager aktiv dabei sind. So hat sich die Teilnahme der behinderten Kinder in den letzten Jahren nicht mehr als Frage gestellt, sondern hat sich zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt. Für die Teilnehmer*innen wird der Umgang mit Kinder und Jugendlichen mit Behinderung selbstverständlich (Sie kennen es teilweise aus den Schulen). Sie unterstützen und helfen auch mal, nehmen sie mit und fragen, ob sie mitmachen möchten. Mit dem inklusiven Zeltlager haben wir es geschafft, dass Geschwisterkinder mit und ohne Behinderung gemeinsam ins Zeltlager fahren können. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal im Bereich der Kinder- und Jugendreisen. In den letzten Jahren haben wir dadurch bundesweite Anfragen bekommen, doch unser Fokus liegt auf unserer Region (Kreis Recklinghausen). Wir wollen nicht zu einer Freizeit für Menschen mit Behinderung werden, wie es die AWO oder Lebenshilfe anbietet, sondern Zeltlager, die die Gesellschaft widerspiegeln (6,8% der Schüler*innen bundesweit haben einen zusätzlichen Förderbedarf 3. Wir würden uns freuen, wenn sich alle Gliederungen auf den Weg machen und wir Anfragen an die entsprechenden Gliederungen vor Ort weiterleiten könnten.

Und wo liegen die Grenzen?

Leider gibt es im Zeltlager auch Grenzen für die Inklusion. Die meisten unserer Falkenzeltplätze sind nicht barrierefrei ausgebaut. Es fehlt an festen Wegen, barrierefreien und pflegegerechten Sanitäranlagen. Somit gelingt es uns nicht, Menschen im Rollstuhl mitzunehmen. Es ist einfach schwierig bei Regen nasse Wiesen und Sandplätze zu überqueren oder kleine Stufen und Treppen zu überwinden.

Auch unsere Falkenhäuser der Falkenfamilie Recklinghausen haben wir auf den Prüfstand gestellt. Wo sind sie nicht barrierefrei, was können wir dafür tun, dass sie es werden? Da stehen einige Häuser vor einer großen Herausforderung. Die Häuser wurden hauptsächlich zu einer Zeit gebaut, in der noch nicht über Inklusion nachgedacht wurde. Viele kleine Stufen und Toilettenanlagen sind nicht zugänglich. Leider lässt sich die Barrierefreiheit nicht für alle Häuser umsetzen, da Normen und Vorgaben eingehalten werden müssen. Aber der Unterbezirk bleibt am Ball. So wurde die Bauspielfarm als neues Haus von Anfang an barrierefrei geplant.

Eine weitere Herausforderung stellt für uns die Mitnahme von Menschen mit Autismus dar. Die meisten Autist*innen benötigen eine feste und gewohnte Struktur im Alltag. Da im Zeltlager allerdings alles neu wäre im Vergleich zum Zuhause, ist dies schwierig umzusetzen.

Das bessere Einbeziehen von Menschen mit migrantischem Hintergrund, ist für uns ein weiteres Thema. Auch in diesem Bereich haben wir das Gefühl, noch nicht soweit zu sein. Wir haben noch keine Antwort auf die Frage, wie wir mehr Migrant*innen als Mitglieder und aktive Ehrenamtler*innen in Funktionen bekommen. Wir müssen eine Brücke schaffen zwischen den Aktivitäten und Falkenhäusern zur Mitgliedschaft und Vorstand.

Unser Fazit zur Inklusion auf die Umsetzung von „Alle fahren mit ins Zeltlager“ ist: Es ist ein harter und anstrengender Weg die ersten Schritte zu gehen. Allerdings zahlt sich dieser Weg aber aus, da es eine Bereicherung sowohl für die Helfer*innen als auch die Teilnehmer*innen ist. Menschen mit Behinderung schaffen neue Blickwinkel. Vor allem, da wir uns als Verband auf die Fahne schreiben, niemanden auszugrenzen und jede*n zu tolerieren.

Zum Weiterlesen: https://www.unesco.de/bildung/inklusive-bildung/inklusive-bildung-deutschland.html

Karina Kohn, Unterbezirk Recklinghausen

  1. Beim Down-Syndrom handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine unveränderbare genetische Besonderheit. Anstatt der üblichen 23 Chromosomenpaare in allen menschlichen Zellen weisen die Zellen der Menschen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom auf. Das Chromosom 21 ist bei ihnen dreifach vorhanden, deswegen spricht man auch von einer „Trisomie 21“.
  2. Die Verhinderungspflege – häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson, § 39 SGB XI – ist die Vertretung einer privaten Pflegeperson in der häuslichen Pflege, wenn diese vorübergehend ausfällt. Die Pflegeversicherung übernimmt die Kosten der Ersatzpflege. Sie kann für maximal 42 Tage, also sechs Wochen, im Jahr in Anspruch genommen werden.
  3. In der gesamten Bundesrepublik weisen insgesamt 500.500 Schülerinnen und Schüler einen sonderpädagogischen Förderbedarf auf (Zahlen für das Schuljahr 2013/2014). Das entspricht 6,8 Prozent der Gesamtschülerzahl.