Mit der Schule stimmt was nicht!

Die Umsetzung der Inklusion: Ein subjektiver Praxisbericht aus NRW und lauter Fragen

Als Sonderpädagogin trifft mich die Umsetzung der schulischen Inklusion direkt. Ausgebildet wurde ich in der Förderschule und in einer Regelgrundschule während des Referendariats. Dort zeigte sich schon, dass es in allen Ecken und an allen Enden hapert.

Während meiner Zeit im Bundesvorstand habe ich die AG Bildung, die sich mit der schulischen Bildung in Deutschland auseinandergesetzt hat, begleitet und mit an der Broschüre „Mit der Schule stimmt was nicht“ gearbeitet. Wir als Falken haben uns dafür ausgesprochen, dass alle gemeinsam lernen können, selbstbestimmt lernen und Noten unerwünscht sind. Jede*r sollte seine Bildung über Herz, Kopf und Hand ermöglicht bekommen.

Mit dieser Grundeinstellung arbeite ich auch im Bildungsapparat Schule als Sonderpädagogin, Lehrerin. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass alle Kinder gemeinsam lernen können und kämpfe nun mit der Umsetzung.

Zu diesem Schuljahr habe ich mich von der Förderschule (sie schließt aufgrund der Inklusionsbestrebungen) in eine Gesamtschule versetzen lassen. Für mich die einzige Schulform in der ich mir die Umsetzung der Inklusion vorstellen kann, da dort alle Abschlüsse absolviert werden können. Warum nicht auch der Förderschulabschluss?

Zuständig bin ich dort für den 5. Jahrgang. Dreizehn Schüler*innen haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Somit sitzen in jeder Klasse 2-4 Schüler*innen, die von mir sonderpädagogisch gefördert werden sollen. Zwei weitere Kolleg*innen sind mit mir beschäftigt und zuständig für andere Jahrgänge. Es gibt in unseren Stundentafeln Zeit, um an einem Konzept zu arbeiten sowie sich auszutauschen. Ich selbst bin ausgebildet worden für die Förderschwerpunkte Lernen und Sprache. In meiner Tätigkeit an der Förderschule hatte ich schon lange Schüler*innen mit dem Bedarf emotionale – soziale Entwicklung. Nun habe ich an der Schule noch Förderbedarfe, mit denen ich noch nie Berührungspunkte hatte.

Sortierung – Nein Danke!

Die Sortierung in unserem Schulsystem nach Leistung ist gruselig. Schon zum 5. Schuljahr werden Kinder nach Leistungen in verschiedene Schulformen gesteckt. Doch ist die Förderschule so schlecht? An der Förderschule hatte ich als Klassenlehrerin zwölf Schüler*innen, die ich mit fast all meinen Unterrichtsstunden unterrichtet und gefördert habe. Ich hatte Zeit eine Beziehung zu ihnen aufzubauen und sie individuell zu unterstützen.

Nun habe ich fünf Klassen, die ich betreue. Die Beziehungsarbeit ist fast unmöglich, da ich ungefähr 3 Stunden pro Klasse in der Woche habe. Zeit für individuelle Förderung? Die Schüler*innen bekommen Fachunterricht bei verschiedenen Lehrkräften, sind in verschiedenen Fachräumen und haben unterschiedliche Bedarfe und Kompetenzen, die sie mitbringen. Dazu kommen unterschiedliche Lern- und Wissensstände. Ich berate alle Kolleg*innen dahingehend, ihren Unterricht zu differenzieren, sodass es auch Aufgaben am Lernthema/-gegenstand für die Schüler*innen mit dem Förderbedarf Lernen gibt. Diese Schüler*innen können meist nicht an denselben Aufgaben arbeiten, da sie zu komplex und inhaltsschwer sind. Doch wo gibt es bei den Kolleg*innen Stunden im Plan, um sich mit mir in meiner Beratungsstunde zusammenzusetzen und zum Beispiel eine Lernthemenreihe auszugestalten und zu planen? Gerade in Mathematik werden die Wissenslücken deutlich und sind nicht einfach weg zu radieren. Ein Fach, was daraus besteht, auf erlernten Kompetenzen aufzubauen ( z.B.: durch die Erschließung der Zahlenräume erst 10, 100,100,…). Wo lernt ein Kind das Multiplizieren, wenn es soweit ist? Bedarf es dafür kleiner Gruppen, in denen die Schüler*innen aus dem Klassenverband genommen werden? Ist das dann noch Inklusion? Wo lernt ein Kind Schreiben? Muss man dann die Schüler*innen wieder aus der Lerngruppe/Klasse nehmen, um eine Einführung in ein neues Themengebiet zu machen? Ist das dann noch Inklusion?

Zu Beginn des Schuljahres habe ich die Schüler*innen mit Förderbedarf in ihren Klassenverbänden belassen. Sie sind angekommen und wurden ein Teil der Gemeinschaft. Dies ist ein großer Vorteil der Inklusion, sie treffen auf verschiedenste Kinder ohne auf einer gesonderten Schule zu sein. Sie verabreden sich, werden geschätzt, bilden Freundschaften. Zu einigen Themenblöcken oder Kompetenzerweiterungen kommen die Schüler*innen in kleinen Lerngruppen zusammen.

Eine Utopie zur Umsetzung der Inklusion wäre eine Doppelbesetzung der Klassen mit einer Regellehrkraft und eines*r Sonderpädagog*in für die Klassen, in denen Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf sitzen. So wäre genügend Zeit für Beziehungsarbeit und die sonderpädagogische Förderung. Doch allein in NRW wurden über 2000 Stellen für Lehrer*innen und Sonderpädagog*innen dieses Schuljahr nicht besetzt. Wie soll das klappen, wenn das Studium für so einen Beruf einen hohen Numerus Clausus hat und begrenzte Studienplätze? Die gesamte Bundesrepublik hat den Generationenwechsel verschlafen und kämpft nun um jede Lehrkraft. Doch zu welchem Preis? Zurzeit auf dem Rücken der Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Egal, ob die Stelle besetzt ist, Inklusion wird umgesetzt. Egal, ob die Regellehrkräfte dies stemmen können. So sitzen viele Kinder in ihren Klassen und werden nicht gefördert.

Karina Kohn, Unterbezirk Recklinghausen