Vom Hexenhammer angeklagt

Die Vernichtung des Weiblichen in den Feuern der Scheiterhaufen

Die Hexenverfolgung war, entgegen dem geläufigen Bild, kein Phänomen des „dunklen“ Mittelalters, sondern der sogenannten Frühen Neuzeit (etwa 1450 bis 1600). Diese Zeit war geprägt von den neu entstehenden Naturwissenschaften, dem Machtverlust der Kirche, einer zunehmenden Geldwirtschaft, sowie der Umwandlung leibeigener Bäuerinnen und Bauern in „freie“ Lohnarbeiter*innen.

Die weibliche Natur

Frauen, welche sich als Heilerinnen oder Hebammen betätigten, galten auf Grund ihrer Fähigkeiten und ihres Wissens als „zauberkundig“ – was vor den Verfolgungen noch nicht negativ besetzt war. Diese „weisen Frauen“ nutzten v.a. bestimmte Kräuter um z.B. die Wehen zu fördern, Fruchtbarkeit zu erhöhen (bei Männern wie Frauen), Menstruationsschmerzen zu lindern, sowie Schwangerschaften abzubrechen. Letzteres geschah, indem der Embryo vergiftet wurde, was natürlich mit einem entsprechenden Risiko für die Schwangere verbunden war.

Wie bereits zuvor (bis in die Antike hinein) war in dieser Zeit die Natur – also die nicht bezwungene und beherrschte, unverstandene Umwelt – mit dem Weiblichen assoziiert. Die „Mutter Natur“ schenkte Nahrung und stand symbolisch für gesunde Fruchtbarkeit. Demgegenüber wurde sie aber auch mit Missernten und Hungersnot, Naturkatastrophen und Unwetter, Zeugungsunfähigkeit und Fehlgeburten, sowie Krankheit und Pest identifiziert.

Die in dieser Frühen Neuzeit wiederentstehenden Wissenschaften brachten eine neue Dynamik in dieses Gefüge: Nun waren die Dinge nicht mehr einfach so, wie sie sind, sondern hatten Ursachen; sie waren nicht mehr durch eine göttliche Allmacht unüberwind- und -erklärbar gegeben. Die Individuen waren nun auf sich selbst zurückgeworfen: Die eigene gesellschaftliche Stellung konnte nicht mehr mit Gottes Plan und seinen unergründlichen Wegen erklärt und gerechtfertigt werden. Deswegen mussten Menschen nach Sinn und Gründen für die Schicksale, welche sie erlitten, suchen. Diese konnten sie sich aber mangels Verständnis und Wissen über gesellschaftliche, sowie natürliche Zusammenhänge nicht ergründen. Deswegen flüchteten sich die Menschen in Aberglauben und fanden die Ursachen ihres Leids in Dämonen, Hexen und Ähnlichem.

Im Gegensatz zu Fabelwesen wie Teufel und Dämonen, waren mit den „Hexen“ bestimmte Personen bzw. Personengruppen konkret greifbar und mensch konnte diese für ihr vermeintliches, schadhaftes Handeln verantwortlich machen und sich ihrer entledigen. Naturkatastrophen, Epidemien und gesellschaftliche Missstände wurden durch das Feindbild der Hexe personalisiert. Dies hatte eine entlastende Wirkung auf den*die Einzelne*n und bot eine Erklärung für das eigentlich Unerklärliche, sowie eine einfache Lösung.

Daher war es nun fatal, mit Magie und Natur in Verbindung gebracht zu werden. Die naturkundliche Hexe stand sinnbildlich für Chaos und das Unbezwungene, dessen Mann – im wahrsten Sinne des Wortes – Herr werden musste. Die Unterjochung der eigenen, inneren wie der äußeren Natur wurde blutrünstig an den Frauen auf den Scheiterhaufen vollzogen.

Somit wurde auch das mündlich von Frau zu Frau weitergegebene Naturwissen und Heilkenntnisse über Sexualität, Schwangerschaftsabbruch, Geburt und Verhütung quasi vernichtet. Anstelle der „weisen Frauen“ traten nun männliche Ärzte, welche zu diesen Themen eine bestenfalls mangelhafte Ausbildung besaßen und Dinge wie Schwangerschaft und Menstruation eher als Krankheit (weil Abweichung vom Männlichen) betrachteten. Der neuartige Einsatz der Geburtenzange, welcher aus der Geburt einen mechanischen Vorgang machte, stand symbolisch für die funktionelle Rationalisierung des weiblichen Körpers und dessen Unterwerfung unter die gerade neu entstehende kapitalistische Produktionsweise.

Die Enteignung der Frau

Ähnlich wie die Landenteignungen im Zuge der sogenannten „ursprünglichen Akkumulation“ 1 ab Ende des 15. Jahrhunderts, wurden durch die Hexenverfolgung die Frauen ihres Körpers enteignet. Auf den Scheiterhaufen brannten nicht nur „weise Frauen“. Es brannten genauso jene, welche eine Mutterschaft vermieden; Arme, welche versuchten ein wenig Geld zu verdienen oder klauten; jene, die als „locker“ und „leicht zu haben“ denunziert wurden, also Prostituierte, Ehebrecherinnen und allgemein Frauen, welche ihre Sexualität selbstbestimmt und eben außerhalb der Reproduktion ausleben wollten.

In ihrem Wahn projizierten die Verfolger in die „Magie“ ihre Angst vor Allem, was sich dem kalten Rationalismus der neu entstehenden Produktionstechniken 2 entzog und eine privilegierte Stellung gegenüber der Ausbeutung und den Autoritäten bedeutete. Letztere fürchteten diese „magischen Naturkräfte“ auch, da sie deren Macht in Frage stellen und den Armen ein gewisses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zusprechen würden, die gesellschaftliche und natürliche Ordnung zu manipulieren oder gar umzustürzen. Noch deutlicher wurde dies in der Phantasie vom „Hexensabbat“3: Einerseits eine ausschweifende sexuelle Orgie, andererseits auch ein politisch-subversives Geheimtreffen der dunklen Mächte. Hier versprach der Teufel den Menschen angeblich, wenn sie ihm ihre Seele verkauften, im Gegenzug Macht, Liebe und Reichtümer – also die Möglichkeit, gesellschaftliche Grenzen zu überschreiten.

Eric Montag, Kreisverband Gotha

  1. Die „ursprünglichen Akkumulation“ bezeichnet den „historische(n) Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als „ursprünglich“, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet.“ (MEW23, 742)
  2. Ausbeutung durch „freie Lohnarbeit“; „Abstrakte Arbeit“ als Grundlage für die Preisbildung durch kapitalistische Arbeitsteilung (in den Manufakturen ab 1500)
  3. Hexensabbath (oder Teufelstanz) bezeichnet die Vorstellung eines regelmäßigen, geheimen, nächtlichen, festartigen Treffens von Hexen mit dem Teufel