Interview mit Veronika Kracher

Veronika Kracher

Die Incel-Community und der Hass auf Frauen

Das Attentat von Toronto, in dem ein Mann mit einem Bulli in eine Passant*innenmenge fuhr und dabei 25 Menschen überrollte, machte weltweit Schlagzeilen. Besonders, weil der Täter vorher einen Facebookpost verfasst haben soll, in dem er sich dem Vokabular der sogenannten Incels bedient. Incel steht dabei für „involuntary celibacy“, unfreiwilliges Zölibat, und beschreibt Männer, die sich im Internet zusammentun und darüber schreiben, wie Frauen ihnen ihr vermeintliches Recht auf Sex verwehren. Wir befragten daher Veronika Kracher, eine Journalistin und Autorin, die Vorträge zu dieser Szene hält.

1. Es gab ja jetzt vermehrt Anschläge, die die selbsternannten „Incels“ selber für sich in Anspruch nehmen. Kannst du uns sagen, was das für Menschen sind und welche Begriffe und Diskurse prägend sind?

Bei Incels handelt es sich in erster Linie um weiße, heterosexuelle junge Männer. Sie sind obsessiv mit dem Gedanken beschäftigt, keinen Sex zu haben, der ihnen jedoch vermeintlich zusteht, weil sie nun einmal Männer sind. In ihrer misogynen Wahnvorstellung begehren ausnahmslos ALLE Frauen ausschließlich muskulöse, 1 Meter 90 große Sportlertypen, die von Incels als „Chad Thundercock“ bezeichnet werden. Diese Frauen, allen voran attraktive „Stacys“, verbringen ihre Jugend und ihr junges Erwachsenenleben damit, „das Schwanzkarussel zu reiten“ (eine 28-jährige hatte durchschnittlich, laut einem Incel-Forum, Sex mit 150 Männern) und wenn sie „verbraucht“ sind setzen sie sich mit einem „Beta Cuck“, also einem Durchschnitts-Mann, der sie versorgen soll, zur Ruhe. Es gibt natürlich auch rassistisch inszenierte schwarze Chads namens „Tyrone“, die mit allen erdenklichen Zuschreibungen triebhafter schwarzer Sexualität dargestellt werden.

Die treibende Kraft hinter der Incel-Ideologie ist ihr glühender Frauenhass. Sie fühlen sich durch weibliche Sexualität bedroht. Frauen, die bereits Sex hatten, werden als „Roasties“ bezeichnet, weil ihre Labien angeblich Roastbeef ähneln würden (der Mythos, dass sich die Vagina einer Frau durch die Anzahl von Sexpartnern verändert, reicht leider weit über die Incel-Szene hinaus).

Ihre Idealfrau ist jungfräulich, minderjährig und (sexuell) unterwürfig, sollte am besten noch nie Kontakt mit einem anderen Mann gehabt haben. Jede Frau, die ihnen vermeintlich Sex verweigert, mit anderen Sex hat, kurz: eine Frau ist, muss dafür bestraft werden – durch Belästigung, Vergewaltigung oder Mord.

2. Wie konnte so eine „Geheimsprache“ entstehen?

Bei Incels handelt es sich fast schon um einen Kult und Kulte grenzen sich unter anderem über ihre Sprache von der Außenwelt ab. Diese Geheimsprache ermöglicht es Incels, sich verbal von den „Normies“ abzugrenzen. Die Verwendung bestätigt den Incel in seinem Gefühl, Teil eines aufgeklärten Geheimbundes zu sein, den Normies einfach nicht verstehen KÖNNEN.
Sprache wirkt auf zweierlei, sich einander bedingenden Ebenen: Einerseits artikuliert sie Denken und Ideologie, andererseits prägt sie diese wechselseitig. Incels bezeichnen Frauen beispielsweise als „Femoids“ ; dieser Begriff zeigt das entmenschlichende misogyne Denken der Incels.

3. Muss aus so einer Sicht zwangsweise Gewalt entstehen oder sind das nur Einzelfälle?

Incels sind für mehrere Massenmorde in den USA und Kanada verantwortlich. Aus Sicht der Incels MÜSSEN Frauen bestraft werden, und sie sparen untereinander nicht an Tipps, wie das geschehen soll. Das reicht von Belästigung auf dem Heimweg über Vergewaltigung über Online-Stalking über Säureattentate bis eben hin zum Amoklauf, wie bei Rogers oder Minassian. In ihrer Ideologie befinden sie sich im Recht, in einem längst überfälligen Kulturkampf gegen Frauen und Feminismus, den man nur gewalttätig gewinnen kann. Dadurch, dass man glaubt, Frauen zu Recht zu bestrafen, fällt das Ausüben von Gewalt wahnsinnig einfach, und man wird vom Männerbund dazu ermutigt. Es ist die logische Konsequenz aus dem Denken der Incels, dass ihre Gewalt legitim ist, was es ihnen leichter macht, diese auszuüben oder an Gewaltakten zu partizipieren

4. Was ist der kulturelle und soziale Hintergrund solcher Menschen? Kann man sagen, dass vor allem bestimmte Typen anfällig für solche Ideen sind?

In der Regel sind Incels weiß, heterosexuell und männlich. Laut einer Umfrage auf incels.me sind ein Drittel der User zwischen 21-24 Jahre alt, aber es gibt auch schon 14-jährige, die sich in diesen toxischen Ecken des Internets herumtreiben und indoktriniert werden. Die meisten Incels scheinen aus Mittel- oder Oberschichtsfamilien zu stammen.

Das subreddit r/braincels hat momentan 40.700 Abonennten. Ich würde sagen, dass eine bereits privilegierte Position, wie die von ökonomischer Sicherheit oder weißer Hautfarbe den Irrglauben, einem würde Sex zustehen, noch zusätzlich unterfüttern kann. Ich halte es für falsch, Vermutungen anzustellen, was in der Kindheit und Jugend dieser Männer passiert ist, da dies oft verallgemeinernd ist und auch dem Klischee des „Nerds ohne Freunde“ entgegenkommt, welches keinesfalls immer zutrifft.

5. Was kann man gesellschaftlich dagegen tun?

Die Arbeit sollte auf zwei Ebenen funktionieren: Erst einmal Aufklärung und zweitens Prävention. Man sollte wissen, was Incels sind, was ihre Ideologie und Motivation ist und dass Incels in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft bereits angelegt sind. Ganz praktisch hilft eigentlich nur eine Erziehung zur Mündigkeit: Feministische Aufklärung an Schulen. Kritische Jungenarbeit. Solange (Cis)Jungen beigebracht wird, dass sie aufgrund ihres Geschlechts mehr wert sind als Mädchen, ist die Saat aus der Incels entspringen können, nun einmal gesät. Diese Vormachtstellung ist innerhalb eines patriarchalen Kapitalismus leider Grundvoraussetzung, weshalb die effektivste Prävention eigentlich nur der radikale Umsturz der Verhältnisse sein kann.

6. Viele behaupten, der Feminismus fordere zu viel und Männer leiden unter diesem neuen, selbstbewussten Frauenbild. Was würdest du zu diesem Einwand sagen?

„Haltet die Schnauze“.

Die Vorstellung, Männer seien durch den Feminismus bedroht, spricht den gleichen Tenor wie „Frauen verweigern mir den Sex, der mir zusteht“. Dieser Einwand lädt die vermeintliche Unfähigkeit von Männern, sich mit Frauenemanzipation abzufinden, erneut auf Frauen ab. Gleichzeitig werden Männer infantilisiert: Als sei man nicht in der Lage, zu reflektieren, dass das Patriarchat auch Männern schadet!

Leider ist bei vielen Männern die Abwehr, sich rational damit zu befassen, zu groß.
Deshalb muss auf allen Ebenen daran angesetzt werden, gegen patriarchale Zurichtung zu kämpfen, die ja auch Ursache dieses grauenvollen Arguments ist.

Das Interview führte Miriam Bömer,UB Hamm/Unna/Soest

*Update 19.12.2018, 11:49 Uhr: Vorher stand im Artikel, dass Minassian ein Manifest verfasst haben soll. Das stimmt so nicht, es handelt sich nur um einen Facebookpost. Wir haben das daher geändert.