Ich möchte Teil einer Umweltbewegung sein…

„It’s the economy, stupid“ wusste schon Bill Clinton[1] während seiner Präsidentschaftskampagne gegen George Bush Senior 1992. Wenn wir als Verband also über Ökologie und die drohende Klimakatastrophe diskutieren, lohnt sich ein Blick auf die Art und Weise, wie Menschen derzeit wirtschaften, also auf den Kapitalismus.

Der Raubbau[2] an der Natur und die schonungslose, wenig bis gar nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, erklärt sich daher, dass die Natur – neben der menschlichen Arbeitskraft – die Quelle allen Reichtums ist.[3] Diese beiden Ressourcen kann das Kapital ausbeuten, um sich zu vermehren. Nun ist es so, dass Kapital – vermittelt durch Geld – welches sich durch den Einsatz von Maschinen, menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen vermehrt hat (G – W – G‘)[4] nicht einfach nur vermehrtes Kapital bleibt: Auch dieses Kapital muss aus seiner eigenen Logik heraus wieder eingesetzt werden, um mit Hilfe menschlicher Arbeitskraft, Maschinen und noch mehr natürlicher Ressourcen wieder vermehrt zu werden. Je mehr Druck das Kapital hat, sich zu vermehren, desto mehr natürliche Ressourcen werden also ausgebeutet. So sind zum Beispiel moderne PKW nicht darauf ausgelegt, dass man sie möglichst lange Zeit nutzen kann, sondern auf Verschleiß. Denn so können mehr Autos auf dem Markt abgesetzt werden und Kapital vermehrt werden. Bei der Produktion eines VW Golf entstehen beispielsweise ungefähr 4,5 Tonnen CO2-Emissionen (Emissionen pro Kopf in Deutschland ca. 8,9 Tonnen) – man kann sich also vorstellen, wie klimaschädliche eine solche Produktionsweise ist. Der beschriebene Kreislauf ist im Kapitalismus nicht zu durchbrechen.

Ende Gelände November 2017 bei Kerpen – Foto Leonhard Lenz

Dass die menschliche Arbeitskraft mehr und mehr etwa durch Maschinen aus dem Produktionsprozess verdrängt wird, wirkt als Beschleuniger für die Vernichtung natürlicher Ressourcen und damit auch für die Freisetzung klimaschädlicher Gase. Menschliche Arbeitskraft hat nämlich eine sehr interessante Eigenschaft: Sie schafft mehr Wert, als sie wert ist. Das bedeutet, dass ein*e Arbeiter*in, der*die bei VW in der Fabrik Autos zusammenschraubt und dafür ca. 23 € verdient, in einer Stunde mehr Wert schafft als diese 23 €. Diesen so genannten Mehrwert behält VW für sich, einerseits als Ausschüttung, andererseits als Geld, dass man wieder in die Produktion investieren kann.

Dadurch, dass immer weniger menschliche Arbeitskraft gebraucht wird, um ein Produkt herzustellen und daraus folgend das Produkt auch weniger wert ist, muss die Menge der produzierten Produkte also erhöht werden, um dieselbe Masse an Wert zu erzielen. Größerer Ressourceneinsatz in der Produktion und dadurch mehr freigesetzte Klimagase sind die logische Folge.

Wo liegen welche Interessen?

In der aktuellen politischen Debatte um den Ausstieg aus der irrsinnigen Braunkohleverstromung wurde von Gewerkschafter*innen wie Vertreter*innen der Braunkohlelobby häufig der Klimaschutz gegen die Arbeitsplätze der Beschäftigten von RWE und Co gestellt – obwohl es sich bei der Braunkohle nachweislich um den Energieträger handelt, der am meisten CO2 freisetzt. Auch in unserem Verband hat es solche Äußerungen gegeben. Offensichtlich entscheiden sich diese Leute für den Spatz in der Hand: Der Schutz der tatsächlich gut bezahlten heutigen Arbeitsplätze im Braunkohlesektor erscheint wichtiger als der Schutz des Klimas und damit auch der Lebensgrundlage zukünftiger Generationen. In Analogie[5] zu Heinz Brandts[6] Wort vom „Atomfilz“ scheint sich zwischen den großen Energiekonzernen und der Branchengewerkschaft eine „Braunkohlefilz“ gebildet zu haben. Ob die scheinbare Alternative Klimaschutz oder Arbeitsplätze im Interesse der Lohnabhängigen gestellt ist, erscheint fraglich. Nicht nur, dass im Sektor der erneuerbaren Energien neue Arbeitsplätze entstehen; sondern auch das Unterstellen gemeinsamer Interessen der Belegschaft und der Stromkonzerne scheint mir doch sehr konstruiert. Als ginge es RWE bei den Tagebauen im Rheinland um die Beschäftigten und nicht um die eigenen Profite.[7] Oder hörte man jemals von deren Seite, dass RWE diejenigen Beschäftigten, deren Arbeitsplätze vom Braunkohleausstieg bedroht sind, an anderer Stelle im Unternehmen weiterbeschäftigt? Natürlich sollten wir als Verband solidarisch mit denjenigen sein, deren Arbeitsplätze bedroht sind, aber nicht mit einem faulen Kompromiss zu Ungunsten des Klimas. Das Recht auf Arbeit ist mit dem Kapitalismus nämlich genauso wenig vereinbar wie der Schutz des Klimas.

Was heißt das für uns Falken?

Auch im Verband war die Diskussion um das Verhältnis zur Umweltbewegung schon weiter: Im Bezirk Westliches Westfalen wurde schon 1979 in Bezug auf Umweltschäden, Atomkraft und der sich gerade neu bildenden Partei “Die Grünen” festgestellt: „Und heute geht es nach unserer Meinung um das Überleben der Gattung Mensch schlechthin“[8] (Hervorgehoben im Original). Genauso wie wir selbstverständlich die Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen kritisch-solidarisch unterstützen, – vor Solidaritätserklärungen mit den streikenden Beschäftigten scheut sich glücklicherweise kein*e hochrangige*r Funktionär*in der Falken – sollten wir uns auch zur Umweltbewegung verhalten. Denn genau wie bessere Tarifabschlüsse Nebenprodukt des Klassenkampfes sind, so ist doch jedes verhinderte Atomkraftwerk, jede verhinderte Umweltkatastrophe und jedes nicht freigesetzte Kilogramm CO2 ein Nebenprodukt beim Kampf gegen die Umweltzerstörung. Zugespitzt formuliert: Wenn die Erde sich so verändert, dass menschliche Zivilisation auf ihr nicht mehr möglich ist, dann haben wir auch keine Grundlage mehr, auf der wir die soziale Frage stellen können.

Die kapitalistische Produktionsweise ist also Klimakiller Nummer 1. Wer das Klima wirklich retten will, muss den Kapitalismus abschaffen. Greta Thunberg, die Initiatorin der “Fridays for Future”-Bewegung, hat dies in ihrer vielbeachteten Rede auf dem UN-Klimagipfel in Katowice so ausgedrückt: „And if solutions within the system are so impossible to find, maybe we should change the system itself.[…] We have come here to let you know that change is coming, whether you like it or not. The real power belongs to the people.“ („Und wenn innerhalb des System keine Lösungen [für den Klimawandel, Anm. MA] gefunden werden können, dann müssen wir vielleicht das System ändern. […] Wir sind hierhergekommen um euch zu sagen, dass der Wandel kommt, ob ihr es mögt oder nicht. Die wirkliche Macht gehört den Menschen.“ Übers. MA). Am 15. Februar haben sich in Deutschland 30.000 Schüler*innen den “Fridays for Future”-Demonstrationen angeschlossen. Hierzulande existiert also bereits eine Schüler*innenklimabewegung, die mehr Menschen zu mobilisieren vermag, als wir als Verband es können. Warum aber zauderte unser Bundesverband (denn lokal sind doch einige Gliederungen involviert in die Fridays for Future) so lange, die Fridays for Future zu unterstützen? Wieso behaupten Teile des Verbandes Ökologie und Klimawandel hätten keinen Bezug zur Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen?

Unser Verband sollte doch an der Spitze der Klimabewegung stehen und dort versuchen, die Schüler*innen für die Antwort auf die Klima- wie die Soziale Frage zu gewinnen: Den Sozialismus.

Martin Adrians, BZ Niederrhein


[1] Naja, eigentlich kommt der Spruch von seinem Wahlkampfstrategen James Carville, aber sei’s drum.

[2] Raubbau: intensives Nutzen einer Sache, die den Bestand dieser Sache gefährdet.

[3] vgl. Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms.

[4] Durch Geld vermitteltes Kapital, dass durch Einsatz von Waren wie Maschinen, menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen zu mehr Geld (G‘) gemacht wird.

[5] Eine Analogie besteht, wenn zwei Sachverhalte oder Dinge sich in einigen Merkmalen ähneln, auch wenn sie sich in anderen Merkmalen unterscheiden.

[6] Heinz Brandt (*16.08.1909, + 08.01.1986) war im Nationalsozialismus kommunistischer Widerstandskämpfer und nach der Niederlage des deutschen Faschismus SED-Funktionär. Nachdem er als SED-Funktionär abgesetzt wurde berichtete er dem Ost-Büro der SPD über oppositionelle Strömungen in der DDR. 1958 floh er in die BRD und wurde Redakteur der IG-Metall Zeitung Metall. Er war Gründungsmitglied der Grünen.

[7] Mein Vater hat im Kraftwerk Frimmersdorf im Kreis Neuss gearbeitet und ist aus dem Unternehmen ausgeschieden, da er mit seinem Altvertrag zu teuer war. Seine Arbeit verrichtet jetzt ein Subunternehmen. So viel zu den Interessen von RWE.

[8] Nachzulesen im Archiv der Arbeiterjugendbewegung unter der Signatur SJD-WW-RE 40.