Marx und die Ökologische Frage

Zum Zusammenhang von Naturzerstörung und Kapital

In Bezug auf die Soziale Frage wird Marx auch heute noch Aktualität beigemessen. So heißt es oft, er habe eindrücklich auf die sozialen Verwerfungen des Kapitalismus hingewiesen und gezeigt, wie die Menschen zu seiner Zeit – insbesondere in England – unter einem ungezügelten Kapitalismus litten. Davon allerdings abgesehen, so die verbreitete Meinung, habe Marx zur größten und bedrohlichsten Krise der modernen Gesellschaft nichts beigetragen: der zunehmenden Naturzerstörung. Mit der immer fortschreitenden Industrialisierung wird schließlich die natürliche Grundlage der modernen Gesellschaft zunehmend untergraben. Der Raubbau an der Natur nimmt Ausmaße an, die mit dem fortschreitenden Klimawandel die menschliche Existenz bedrohen.

Porträt von Karl Marx, John Jabez Edwin Mayal, International Institute of Social History in Amsterdam, Netherlands

Von dieser ökologischen Bedrohung durch die moderne Produktionsweise konnte Marx seinerzeit sicherlich nichts wissen. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass die im Kapital dargestellte Kritik der modernen bürgerlichen Wirtschaftsweise keinen Beitrag zur Erklärung der ökologischen Krise leisten könne. Zwar wird Marx vielfach aus dem Bereich der sogenannten Postwachstumsökonomie1 vorgeworfen, die Naturzerstörung im Dienste der Steigerung der Produktivität zu befürworten. Allerdings zeigt sich, dass solche Verzerrungen von Marx‘ Kritik auch eine wesentliche Einsicht in die ökologische Krise preisgeben müssen. Im Folgenden soll dies an einem Artikel von Niko Paech demonstriert werden. Paech ist ein herausragender Vertreter der Postwachstumsökonomie und hat den Begriff vor allem in Deutschland geprägt.

Verwirrung im Wertbegriff

Unter der Überschrift „Postwachstumsökonomik – Wachstumskritische Alternativen zu Karl Marx“ rechnet Paech in seinem Beitrag zur Sonderausgabe der Zeitschrift APuZ zum Kapital vom 8.5.2017 mit Marx ab. Im Zentrum der Kritik steht dabei die sogenannte Arbeitswertlehre. Paech merkt hierzu an, „[d]as Dogma der marxschen Arbeitswertlehre, wonach allein Arbeit Wert erzeugen kann, blendet den Beitrag ökologischer Plünderung zur Wertschöpfung aus.“ Dabei fällt Paech selbst auf, dass Marx bereits auf den ersten Seiten des Kapitals festhält: „Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater […] und die Erde seine Mutter.“ Trotz dieser Feststellung hält Paech an seiner Kritik fest: Marx messe der Natur keinen Wert bei.

Dabei sitzt Paech hier einem grundlegenden Missverständnis auf. Um seine Kritik zu belegen, zitiert er wiederum aus dem Kapital. Dort heißt es über unbearbeitete Natur, wie wildwachsendes Holz und die Luft, die wir atmen, dass sie zwar nützlich ist, aber keinen Wert besitzt. Nun macht Paechs Bemerkung, Marx messe der Natur keinen Wert bei, nur als moralische Entrüstung Sinn. Paech ist also der Ansicht, Marx solle der Natur einen Wert beimessen. Zudem wird damit die Nichtbeachtung des Wertes der Natur als wesentlicher Aspekt der ökologischen Krise behauptet. Der Fehler in Paechs Argumentation liegt hier darin, dass er mit dem Wertbegriff eine moralische Bedeutung verbindet, die sich bei Marx gar nicht findet. Paech versteht den Wert der Natur, in dem Sinne, indem wir vom Wert der Kultur, vom Wert eines Menschenlebens oder ähnlichem sprechen. Für Marx dagegen ist Wert2 zunächst eine gesellschaftliche Kategorie.

Wert als ökonomische Kategorie

Mit dem Wert zielt Marx auf das Ganze der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Der Wert kann niemals der Wert einer einzelnen Ware, unabhängig von allen anderen Waren sein. Wert meint immer schon das Ganze kapitalistischer Produktion. Im Gegensatz dazu ist der Wert als moralische Zuschreibung, wie ihn Paech versteht, eine individuelle Angelegenheit. Denn der Wert in diesem Sinne ist davon abhängig, dass ihn Einzelpersonen Gegenständen oder anderen Personen zuschreiben. Dieser Wert ist nicht objektiv, man kann ihn einer Sache oder Person zuschreiben, oder eben auch nicht. Wert wie Marx ihn hingegen versteht, ist immer eine notwendige Eigenschaft der Waren in einer kapitalistischen Produktionsweise. Unabhängig von der subjektiven Zuschreibung von Wert zeigt sich dieser in herrschenden gesellschaftlichen Zwängen, denen letztlich niemand entfliehen kann. Diese Zwänge äußern sich im Kapitalismus in einem grundlegenden Widerspruch.

Laut Marx beherrscht unter kapitalistischen Bedingungen „der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß“. Die angebliche Freiheit der Marktteilnehmer*innen, kaufen zu können, was sie wollen, ist in Wahrheit ihre Unfreiheit. In der Vorstellung vom freien Warenmarkt wirtschaftet jede*r für sich alleine. Diese Vorstellung blendet die vielfältigen Zusammenhänge der gesellschaftlichen Warenproduktion aus. Beispielsweise lässt sich keine Limonade herstellen, ohne den landwirtschaftlichen An- und Abbau der Inhaltsstoffe, die Gewinnung trinkbaren Wassers, die Herstellung geeigneter Flaschen zur Befüllung und der vielfältigen technischen Geräte, die im Herstellungsprozess der Limonade zum Einsatz kommen. Alle diese Güter müssen ebenfalls hergestellt werden, damit die Limonade hergestellt werden kann. Wie ein enges Netz durchzieht die moderne Wirtschaft die gesamte Weltgesellschaft mit ihren voneinander abhängenden Produktionsprozessen.

Obgleich aber jede Herstellung von Gütern von vielfältigen anderen Gütern abhängt, stellen alle Produzent*innen unabhängig voneinander ihre Güter her. Die Herstellung erfolgt privat, obgleich sie auf dem gesellschaftlichen Zusammenhang der Produzent*innen basiert. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang, ohne den die Privatproduktion nicht funktionieren würde, stellt sich nach Marx durch den Tauschwert her. Mittels des Tauschwerts verteilt sich unabhängig vom Wollen der einzelnen Produzent*innen die gesamtgesellschaftliche Arbeit auf die herzustellenden Produkte. Da diese Verteilung allerdings ohne das bewusste Handeln der Menschen geschieht, werden diese von ihrer eigenen Wirtschaftsweise beherrscht, anstatt ihre Wirtschaft zu beherrschen.

Der Kapitalismus kann der Natur keinen Wert beimessen

Dass Marx der Natur keinen Wert beimisst, liegt also nicht an seiner Missachtung der natürlichen Grundlage des menschlichen Lebens. Es liegt daran, dass die kapitalistische Wirtschaft der Natur keinen Wert beimessen kann, weil sie sich vom Wollen und Wissen der Menschen unabhängig vollzieht. Zwar haben Produzent*innen und Konsument*innen ganz abstrakt gesehen eine Wahl, was sie herstellen bzw. konsumieren wollen. Keine*r ist gezwungen für die Umwelt möglichst zerstörerische Produkte herzustellen und zu erwerben. Konkret beschert eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur und des Menschen aber besonders gute Profite und stößt die Abstimmung der Konsument*innen mit ihrem Geldbeutel schnell an die Grenze bisweilen prekärer Löhne, also die Folge der permanenten Mehrwertabschöpfung bei den Arbeiter*innen. Alle diese und noch weitere Probleme die einer effektiven Bekämpfung des Klimawandels entgegenstehen, sind die Folge einer Wirtschaftsweise, in der der Tauschwert in Gestalt des Geldes Selbstzweck der gesamten Produktion ist und nicht die Herstellung nützlicher Güter.

Dieses Grundproblem, das in der mangelnden Organisation unserer Produktion verankert ist, missachtet die Postwachstumsökonomik Paechs. Er kann daher auch nicht erklären, warum sich die Menschheit trotz besseren Wissens weiter auf den Abgrund zubewegt. Für Paech muss all das letztlich nur eine Frage der Änderung des Bewusstseins der Menschen sein. Sie seien entweder gierig oder bequem und müssten sich stattdessen endlich darauf einlassen, dass das bisherige Niveau der Produktion nicht zu halten ist. Bei Marx lässt sich hingegen lernen, dass das Übel gerade darin besteht, dass die Menschen noch immer nicht ihre Ökonomie kontrollieren, sondern von dieser kontrolliert werden. Sie wissen um die Naturzerstörung, aber können nichts Wirksames dagegen tun, weil sie in ihrer Wirtschaft die Güter und die Arbeit nicht wissentlich verteilen.

Christoph Hövel, KV Oberhausen und Bildungsreferent im Salvador-Allende-Haus

  1. Als „Postwachstumsökonomie“ wird eine Wirtschaft bezeichnet, die ohne Wirtschaftswachstum eine stabile Versorgung aller Menschen sicherstellt. Dies geht jedoch mit einem reduzierten Konsumniveau einher.
  2. Wert hat bei Marx zwei Bedeutungen, die eng zusammenhängen. Zunächst bedeutet Wert bei Marx, die für jede Gesellschaftsform notwendige Verteilung der insgesamt in einer Gesellschaft zur Verfügung stehenden Arbeitszeit auf die Produktion der von Menschen benötigten Güter. Diese Verteilung hat unter kapitalistischen Bedingungen eine besondere Form: den Tauschwert, den Marx auch gelegentlich einfach als Wert bezeichnet. Wert als die insgesamt zur Verfügung stehende Arbeitszeit einer Gesellschaft ist dabei der Inhalt und Wert als Tauschwert, d. h. als geldbestimmte Größe, ist seine Form. Marx zufolge ist der kritische Kern des Kapitals die Erklärung, warum dieser Inhalt (die Verteilung der Arbeitszeit auf die Produkte) jene Form (den Tauschwert und letztlich das Geld) annimmt. Der Grund dafür ist Marx zufolge, dass die gesellschaftliche Produktion nicht gesamtgesellschaftlich organisiert wird, sondern privat von einzelnen Kapitalist*innen. Der notwendige gesellschaftliche Zusammenhang der gesamtgesellschaftlichen Produktion muss unter diesen Bedingungen immer nachträglich hergestellt werden und diese Funktion erfüllt der Tauschwert bzw. das Geld.