Leser*innenbrief zu Maria Neuhauss „Frauen und Politik – ein Spannungsverhältnis“

In der Ausgabe 2/2018 beleuchtete Maria Neuhauss unter dem Titel „Frauen und Politik – ein Spannungsverhältnis“ die Frage, warum Mädchen und Frauen im Verband immer noch unterrepräsentiert sind, wenn es um das „Politik machen“ geht, also das Schwingen großer Reden auf Konferenzen oder dem selbstbewussten Positionieren im politischen Geschehen. Als Gründe erkannt werden die „männlichen, aber nicht immer menschlichen Formen des Politikvollzugs“, die weibliche Sozialisation, die immer noch vor allem auf Harmonie und Dienstleistung für andere ausgerichtet ist, sowie der systematische Ausschluss von Frauen aus der Politik seit der Antike: über die Gemeinschaft als Ganze hatten nur Männer zu sprechen, Frauen durften höchstens ihre Partikularinteressen vertreten. Dem stellt Maria u.a. ein Programm entgegen, dass Mädchen und Frauen dabei helfen soll, „fertige politische Subjekte“ zu werden.

Delegierte der Bundesfrauenkonferenz 2019 in Wolfsburg
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In eigener Sache

1990 hörte die DDR durch ihren Beitritt zur Bundesrepublik auf zu existieren. Unser jährliches Seminar Rosa & Karl (10.-12.01.2020 in unserer Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein) hat das dieses Mal zum Oberthema und auch wir wollen hier den Schwerpunkt der kommenden Ausgabe setzen. Wir wollen uns damit zu beschäftigen, was die DDR eigentlich war, wie unser Verhältnis zum sogenannten “real existierenden Sozialismus” ist und welche Spuren die Prozesse nach 1990 bis heute hinterlassen haben: Wie war eigentlich die Rolle der Frauen? Wie erlebten Vertragsarbeiter*innen aus Staaten wie Mosambik oder Vietnam die DDR und die Zeit nach der Wende? Was war eigentlich die Treuhand? Was wollte eigentlich die linke Opposition in der DDR? Warum sollte uns das heute noch interessieren?

Wir freuen uns über alle Beiträge zu diesen oder weiteren Themen. Außerdem könnt ihr auch Interviews führen, spannende Bücher, Filme und Musik rezensieren oder Diskussionsbeiträge zu früheren AJ-Artikeln schreiben.

Artikelideen- und Vorschläge schickt ihr wie immer an unsere Redaktionsadresse: sascha.doering@sjd-die-falken.de. Bei Fragen sprecht uns gerne an.

Der Redaktionsschluss ist der 15. Februar 2020.

Dicht, dichter, Innenverdichtung – Gespenst der modernen Stadt?

Beispiel für Innenverdichtung /// Foto Tilman Büttner

Wohnungsmangel, Gentrifizierung oder Flächenverbrauch sind Schlagworte, welche in den letzten Jahren aus dem Sprachgebrauch einer kleineren Community der Siedlungsgeographie und Stadtentwicklung in öffentliche Diskussionen schwappten. Die gängige Antwort vieler Kommunen auf Fragen einer zukunftsfähigen Stadt lautet hierfür: Innen- bzw. Nachverdichtung. Diese Maßnahme beschreibt die Nachbebauung einer bestehenden Infrastruktur und Bausubstanz, sodass die Dichte des vorhandenen Wohnraums steigt.

Soweit so gut – bestehende Kapazitäten ausnutzen klingt zunächst sinnvoll. Warum sollte man neue Siedlungsflächen am Stadtrand erschließen, wenn zentrumsnah Hinterhöfe für einen neuen Wohnblock genutzt werden können? Wer möchte nicht in den angesagten Vierteln wohnen? Schlafplatz und Szenekneipe nah beieinander, da freut sich doch nicht nur der ökologische Fußabdruck über kurze Wege.

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Rezension: Die Deislers “Da ist kein Licht”

Söhne ihrer Klasse

In Zeiten von Streamingdiensten sind handfeste Tonträger gerade von kleinen Bands ja eher die Ausnahme geworden. Auch wenn Vinyl wieder im Aufwind ist, werden die Presswerke häufig von fragwürdigen Neuauflagen alter Klassiker belegt, die man auch für einen Fünfer auf dem Flohmarkt bekommt. Das neue Album der Deislers, “Da ist kein Licht” ist da eine erfrischende Ausnahme. Die einseitig bespielte 12’’-Platte kommt in einem stabilen Pappschuber daher, der ziemlich schick schwarz auf schwarz bedruckt ist. Ein Textblatt gibt es auch noch dazu.

Die Vier vom Niederrhein, die vor allem für exzessives Touren und abgefahrene Ideen wie “16 Tage / 16 Bundesländer” bekannt sind, legen etwas vor, das von der Länge irgendwo zwischen langer EP und kurzem Album liegt. Die sieben Songs rauschen in insgesamt weniger als 20 Minuten über die Ziellinie. Da bleibt nicht viel Zeit für lange Intros, sondern es geht sehr direkt in die Vollen. Die Produktion ist sehr authentisch und unpoliert, trotzdem nie matschig, die Instrumente sind immer gut unterscheidbar.

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Die Gewalt hat System

Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen systematisch unterdrückt werden. Diese Unterdrückung gilt als Norm, wird als natürlich angesehen. Sie birgt ein Bild, dass Frauen bestimmte Rollen zu erfüllen haben, sich auf bestimmte Art und Weise zu verhalten haben und dass sie weniger wert seien als Männer. Oft geht mit dem vermeintlichen „weniger wert sein“ einher, dass Männern weis gemacht werde, sie hätten einen Anrecht auf Frauen und ihre Körper. Es fängt mit sexistischen Konzepten wie der „Friendzone“ 1 an und äußert sich weiterhin darin, dass Politiker entscheiden, ob Frauen ein Kind abtreiben dürfen oder nicht; dass Richter Betroffenen Schuld an Übergriffen zusprechen; und nicht zuletzt, dass Frauen täglich Opfer von psychischer und physischer Gewalt durch ihre Beziehungspartner werden. 2

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Auszug George Orwell – Mein Katalonien

Fünftes Kapitel

Östlich von Huesca ereignete sich bis spät in den März hinein nichts – fast buchstäblich nichts. Wir lagen zwölfhundert Meter weit vom Gegner entfernt. Als die Faschisten nach Huesca zurückgetrieben wurden, hatten sich die Truppen der republikanischen Armee, die diesen Frontabschnitt hielten, bei ihrem Vormarsch nicht übereifrig gezeigt, und so formte sich die Front hier wie eine Tasche. Später musste sie vorverlegt werden – sicher unter Beschuss eine heikle Sache -, aber augenblicklich hätte der Feind ebenso gut gar nicht vorhanden sein können. Unsere einzige Beschäftigung bestand darin, uns warm zu halten und genug zu essen zu bekommen. Tatsächlich gab es einiges, was mich während dieser Zeit interessierte, und ich werde später davon berichten. Aber ich halte mich wohl enger an den Ablauf der Ereignisse, wenn ich hier zunächst versuche, eine Darstellung der innenpolitischen Situation auf der Regierungsseite zu geben.

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“Aber zweimal im Leben wollen wir die Arbeit nicht!”

In Erfurt hat sich unter Beteiligung von Falken ein linkes Hausprojekt gegründet.Gemeinsam haben sie ein Haus gekauft und renoviert. Über Idee, Umsetzung und das Zusammenwohnen hat die AJ mit ihnen gesprochen. 

Wie kam es zum Hausprojekt? Wie hat sich die Gruppe zusammengefunden, die jetzt im Haus wohnt? Was war eure Motivation, das Hausprojekt umzusetzen?

Es gab einen Kern von 4 Leuten – wir hatten zu einem offenen Treffen für Interessierte eingeladen. Aus diesem Treffen ergab sich dann die jetzige Gruppe des Hausprojekts. In der Einladungsmail formulierten wir auch schon unsere Vorstellungen: Wir wollten mit Genoss*innen zusammenziehen, die linkspolitisch organisiert sind und dies auch bleiben wollen. Gleichzeitig wollten wir kein Hausprojekt, in dem die Konsumentscheidungen unserer Mitbewohner*in im Plenum zum Politikum erhoben werden (frei nach dem Motto – erst ändere ich meine Mitbewohner*innen, und dann die ganze Welt). 

Es gab mehrere Gründe für ein Hausprojekt: Wir fanden es schön, zusammen zu wohnen und in einem Haus mit Genoss*innen zu wohnen. Wir wollten uns dem Mietmarkt entziehen (kein Leben lang Miete zahlen und damit Andere reich machen). Wir wollten etwas mehr Sicherheit für die Zukunft (keine ständige Angst vor Mieterhöhungen). Großteils hatten wir kein Geld für eigenes Wohneigentum oder aber keine Lust, alleine für Eigentum verantwortlich zu sein.

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„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ – zur politischen Kritik des Moralismus

Slum in Glasgow um 1871 /// Bild: Thomas Annan

Soziale Kämpfe weltweit werden zumeist moralisch gerechtfertigt. Es wird gegen die ungerechte Ausbeutung von Menschen und Natur protestiert, gegen den Reichtum des Nordens, den dieser auf Kosten des Südens anhäuft, gegen Steuerflucht oder gegen steigende Mieten in deutschen Großstädten. Neben einer bei der Wohnungsfrage auch rechtlichen Argumentation wird dabei auf Anstand gepocht, werden Renditeansprüche als unverhältnismäßig zum erzeugten Leid abgewiesen und ganz allgemein die Ungerechtigkeit angeprangert. Gegen Empörungen von unmittelbar Betroffenen ist aus Sicht einer Linken, die für eine radikaldemokratische Veränderung der Gesellschaft eintritt, zunächst nichts einzuwenden, sofern sich diese Empörung in konkreten Kämpfen gegen das eigene Leid zeigt. Wohl aber sollte man sich gegen einen bloß moralisierenden Blick auf soziale Kämpfe, der sich nur auf die handelnden Individuen richtet, wenden. Nicht nur wird so die gesellschaftliche Dimension ausgeblendet, der Fokus auf die Einzelnen ist vielmehr selbst ein historisch spätes Produkt der bürgerlichen Gesellschaft.

Auch wenn im Folgenden die moralische Sichtweise kritisiert wird, bedeutet dies nicht, dass stattdessen einfach möglichst unmoralisch zu leben sei. Das Problem an der Moral, so soll gezeigt werden, ist nicht, dass sie den Blick auf die Geschädigten bestimmter Handlungen legt, sondern dass ihr Blick hierauf selbst verkürzt ist und damit wider Willen eine Ordnung befestigt, gegen die sie aufbegehren müsste.

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Beet vs. Beton – Wem gehört die Stadt?

Grüne Oase im Beton /// Foto: Schreberjugend

Die Stadt, Motor der Gesellschaften, Fabrik neuer Lebensentwürfe, sozialer Schmelztiegel und Ort der Gemeinschaft. Städte haben viel zu bieten, deswegen wollen immer mehr Menschen dort wohnen. Das bedeutet aber, dass der Platz in den Städten immer knapper wird. Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser und Geschäfte müssen neu gebaut werden. Weil das Angebot an Bauland begrenzt ist, steigen die Preise für das Bauen und damit auch für das Wohnen. Weil das Bauland so viel Wert ist, lohnt es sich, damit zu spekulieren. Das bedeutet, möglichst günstig Land zu kaufen und dann teurer weiter zu verkaufen. Aber wer soll eigentlich bestimmen, was wo gebaut wird, und zu welchem Preis? Über diese Frage streiten sich die Experten schon seit Ewigkeiten. Die einen sehen die Stadt wie ein Unternehmen, das Gewinne abwerfen soll. Sie wollen vor allem das bauen, was den höchsten Gewinn verspricht. Viele andere, vor allem die Bewohner*innen selbst, sehen ihre Stadt als Lebensraum, der ihnen soziale Erfahrungen und Kultur bietet, Infrastruktur wie Schwimmbäder, Schulen und Bibliotheken bereitstellt. Dort wollen sie mitgestalten und auch Natur erleben können, sei es im Park, im Kleingarten oder im Stadtwald. Gerade mit diesen Orten lassen sich aber nur schwierig Gewinne machen. Weil die gewinnorientierten Unternehmen sehr mächtig sind und sich häufig durchsetzen können, verschwinden in den Städten momentan immer mehr Rückzugsorte und Grünflächen oder es werden gleich ganze Kleingartenanlagen in Bauland umgewandelt. 

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Vegane Supermärkte denen, die drin wohnen

Linke Ideen als Teil eines Verdrängungsmechanismus

Neoklassizistisches Haus von 1920 neben einem Neubau von 2000 in Mexico-City /// Foto Francisco Peláez

Ich habe in den letzten Jahren viele verschiedene Wohnformen besucht, vom kleinbürgerlichen Mehrgenerationenprojekt über die linke Hippie-Studi-WG bis hin zum Punker*innen-Wohnprojekt, das im Winter seine Treppe verbrannt hat, weil sie vergessen hatten, Feuerholz zum Heizen zu besorgen. Ich habe mir angesehen, wie die lang erwartete Eröffnung des veganen Supermarkts in der Straße letztlich als Teil des Prozesses erkannt wurde, der Hand in Hand mit deftigen Mieterhöhungen im ganzen Viertel ging.

Dieser Prozess ist bekannt als Gentrifizierung, der Prozess der Aufwertung und Verdrängung. Das läuft dabei immer ähnlich ab: Studierende und Künstler*innen ziehen in einen billigen Stadtteil und machen das Beste draus, der Stadtteil wird hip-cool-sexy und immer attraktiver für Immobilienfonds. Die Wohnungen werden aufgekauft, renoviert und schließlich an zahlungskräftigere Mieter*innen vergeben. Deswegen steigt das allgemeine Preisniveau im Viertel und verdrängt auch die restlichen Geringverdiener*innen. 

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