Vegane Supermärkte denen, die drin wohnen

Linke Ideen als Teil eines Verdrängungsmechanismus

Neoklassizistisches Haus von 1920 neben einem Neubau von 2000 in Mexico-City /// Foto Francisco Peláez

Ich habe in den letzten Jahren viele verschiedene Wohnformen besucht, vom kleinbürgerlichen Mehrgenerationenprojekt über die linke Hippie-Studi-WG bis hin zum Punker*innen-Wohnprojekt, das im Winter seine Treppe verbrannt hat, weil sie vergessen hatten, Feuerholz zum Heizen zu besorgen. Ich habe mir angesehen, wie die lang erwartete Eröffnung des veganen Supermarkts in der Straße letztlich als Teil des Prozesses erkannt wurde, der Hand in Hand mit deftigen Mieterhöhungen im ganzen Viertel ging.

Dieser Prozess ist bekannt als Gentrifizierung, der Prozess der Aufwertung und Verdrängung. Das läuft dabei immer ähnlich ab: Studierende und Künstler*innen ziehen in einen billigen Stadtteil und machen das Beste draus, der Stadtteil wird hip-cool-sexy und immer attraktiver für Immobilienfonds. Die Wohnungen werden aufgekauft, renoviert und schließlich an zahlungskräftigere Mieter*innen vergeben. Deswegen steigt das allgemeine Preisniveau im Viertel und verdrängt auch die restlichen Geringverdiener*innen. 

Der Wandel der Arbeit und die Gentrifizierung

In seinem Artikel „Die Debatte um die Gentrifizierung ist verkürzt“ aus der Zeitschrift analyse & kritik stellt Arndt Neumann die These auf, dass der Prozess der Gentrifizierung Hand in Hand mit dem Wandel der Arbeit in unserer Gesellschaft verläuft und in diesem Kontext verstanden werden muss.1 Nachdem Leben und Arbeiten in den 1970er Jahren noch strikt getrennt wurde, arbeiten viele Menschen heute von ihrer Wohnung aus. Damals gab es hier Industriegebiet, da Wohnviertel, es gab feste Arbeitszeiten und mit der Arbeit auch eine soziale Absicherung. Die Stadtplanung richtete sich explizit nach dieser Aufteilung und der soziale Wohnungsbau war Teil davon. Die Innenstädte wurden unspannend und verfielen unbeachtet. 

Heute arbeiten sehr viel weniger Menschen in Fabriken, unsere Arbeit ist entgrenzt, und der Dienstleistungssektor wächst. Vom ÖPNV bis zum Büro im Cafe um die Ecke, es geht ums Händeschütteln und „networken“. Auch in der Stadtplanung geht es nicht mehr um die Abgrenzung, die Innenstädte von Großstädten werden wieder attraktiver – gerade aufgrund der von ihnen ermöglichten Vermischung von Arbeit und Leben.

Und alles begann mit den Studis und den Künstler*innen – sind die jetzt also Schuld?

Innenstädte bieten viele Möglichkeiten zur Begegnung (z.B. Cafés, Bars), die heute immer wichtiger geworden ist. Das steigert auch den Wert der Immobilien. Diese Begegnungsorte wurden aber gerade von eben jenen Studis und Künstler*innen geschaffen, die durch die Gentrifizierung verdrängt werden. Sie haben ihre Arbeit investiert und die leerstehenden Viertel genutzt, haben sich Communitys aufgebaut, deren Räume und Image nun von Firmen aufgekauft werden können. Ein ausgedachtes Beispiel wäre z.B. eine kleine, leerstehende Werkstatt mit Graffitis an den Wänden, die von der Skateboard-Community erschlossen und genutzt wurde. Diese Werkstatt wird dann von einem Skateshop aufgekauft, die Wände so belassen, weil man ja auf den „Street-Charme“ steht und als neuer Verkaufsraum genutzt. Die Skate-Community kann diesen Raum jetzt nicht mehr so nutzen wie vorher, aber sich neue Skateschuhe kaufen. Der Markt hat das geregelt.

„Immobilien in gentrifizierten Stadtteilen sind gerade deshalb so lukrativ, weil die Immobilienfonds keinen einzigen Cent für das Image und damit für die Arbeit der dort Lebenden bezahlen. (…) Die einen verdienen Millionen, die anderen bekommen nichts“, schreibt Arndt Neumann. Die Studis und die Künstler*innen sind nicht Schuld an der Gentrifizierung, sie werden letztlich enteignet.

Zu der Verdrängung der Einkommensschwachen aus den Innenstädten kommt noch ein weiterer Aspekt, denn wo Raum teurer wird, betrifft es nicht nur Wohnungen, sondern auch Gewerberäume. Auch die Arbeit zieht sich oftmals ins Private zurück und fördert damit immer weiter die Entgrenzung der Arbeit: Denn wenn ich arbeite, wo ich wohne, schlafe ich immer auf der Arbeit. Die Verknüpfung von prekärer Arbeit und Gentrifizierung funktioniert also wechselseitig.

Ich teile Arndt Neumanns Analyse, für mich bleibt aber die zentrale Frage offen: Wie gehen wir damit um? Ich habe Bekannte, die haben in ihren Hausflur gepinkelt und Dreck an die Wände geschmiert, um Investor*innen abzuschrecken, doch das scheint mir keine praktikable Lösung zu sein. Es braucht Gesetze, Mietpreisbremsen und Zweckentfremdungsverbote. 

Gegen Gentrifizierung laut werden!

Um das zu erreichen, braucht es Menschen, die ihre Stimme erheben und die sich einmischen! Natürlich hilft es keinem, die Arbeit und das Wohnen wieder klassisch zu trennen, das wäre in dieser Gesellschaft wohl auch kaum noch möglich. Aber die Mindeststandards, das Recht auf Wohnen und die soziale Absicherung müssen wieder mehr Bedeutung in der Stadtplanung haben. Die Städte müssen raus aus der Privatisierung, Wohn- und Arbeitsraum gehört in die öffentliche Hand.

Kira-Marie Bennemann, LV Rheinland-Pfalz

  1. Mehr dazu in dem Artikel „Die Debatte um Gentrifizierung ist verkürzt“ von Arndt Neumann in der Zeitschrift analyse und kritik Nr. 558.